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Kriegsursachen und Konfliktverläufe: Das Beispiel Kongo

 

1. Einleitung

· Vorbemerkung zur Form
· Erkenntnisinteresse


2. Hintergrund: die Demokratische Republik Kongo im Überblick

· Geschichte: Vorkolonial
· Geschichte: Aus Belgisch- Kongo wird Zaire
· Geschichte: Aus Zaire wird die Demokratische Republik Kongo
· Bevölkerungsstruktur


3. Einfluß- und Interessensphären im Kongo

· Kolonialmächte
· Anrainerstaaten
· Tribalismen
· Sonstige


4. Konfliktverläufe seit 1996- Ursachen, beteiligte Parteien und ihre Intentionen

· Der Import des Ruanda- Burundi- Problems
· Der Krieg der AFDL gegen Mobutu
· Der Krieg der RCD (und Alliierter) gegen Kabila (und Alliierte)


5. Kriegsursachen und Hintergründe

· "Stammesfehde" und "Erbfeindschaft": Die Batutsi- Bahutu- Kriege
· Kabila: Der sozialistische Revolutionär?
· Wer unterstützt wen warum?

6. Zusammenfassung

 

I Einleitung

Vorbemerkung zur Form
Die Demokratische Republik Kongo, also das ehemalige Zaire, wird im folgenden der Einfachheit halber meist als "DR Kongo" oder nur als "Kongo" bezeichnet. Wo Kongo- Brazzaville gemeint ist, wird dies ausdrücklich hervorgehoben. Ferner werden afrikanische Ethnien -wenn möglich- nicht mit dem europäisierten sondern mit dem ursprünglichen Namen bezeichnet. Also beispielsweise nicht "Hutu" oder "Tutsi", sondern im Singular "Muhutu" bzw. "Mututsi", im Plural "Bahutu" usw.
Weiterhin wird in der Regel - allgemeinem Sprachgebrauch folgend- die männliche Form benutzt. Also weder "PolitikerInnen" noch "Politikerinnen und Politiker", sondern schlicht "Politiker". Dies soll nicht der Diskriminierung sondern der leichteren Lesbarkeit dienen.

Erkenntnisinteresse
Ziel dieser Hausarbeit ist, am Beispiel des Bürgerkrieges in Zaire bzw. der Demokratischen Republik Kongo mögliche Ursachen und Verlaufsformen eines kriegerischen Konfliktes aufzuzeigen.
Die Demokratische Republik Kongo bietet sich hier als Beispiel an: Die jüngsten Bürgerkriege scheinen äußerst multikausal: Je nach Standpunkt des Betrachters sind sie möglicherweise als lokale Territorialstreitigkeiten, Folge von ethnonationalen Konflikten oder späte Auswirkungen der Kolonialzeit aufzufassen.
Um diese Vielschichtigkeit erfassen zu können, wird zu Beginn der Hausarbeit zunächst die historische Entwicklung des Gebietes seit Beginn der Kolonisierung dargestellt. Hier möglicherweise verborgene Ansätze zu Konfliktursachen sollen herausgearbeitet werden. Das beinhaltet auch einen Überblick über nationalstaatliche und wirtschaftliche Einfluß- und Interessensphären auf dem Gebiet der heutigen DR Kongo. Im Anschluß hieran werden die Beteiligten der jüngeren Konflikte (also des Krieges der AFDL gegen Mobutu und der RCD gegen Kabila) mit ihren Intentionen vorgestellt und die Verläufe dieser Konflikte grob skizziert.
Vor diesem Hintergrund sollen schließlich mögliche Kriegsursachen diskutiert werden. Ein besonderer Schwerpunkt wird dabei auf der Frage liegen, ob der Bahutu- Batutsi- Konflikt sich tatsächlich auf eine seit Jahrhunderten schwelende "Erbfeindschaft" zurückführen läßt, also Multiethnizität und Tribalismen Kriegsursachen sind.
Auch die Frage, ob und inwiefern Kabila und die AFDL als siegreiche sozialistische Revolutionäre zu betrachten sind, soll behandelt werden.
Abschließend wird der Versuch unternommen, die Kriege auf ihre "Grundursache" zurückzuführen und entflechtend darzustellen, was Kriegsursache war, was Anlaß und was begünstigende Faktoren

II Hintergrund: Die DR Kongo im Überblick

Geschichte: Vorkolonial
Auf dem Gebiet des heutigen Kongo sind frühe Werkzeuge aus der Zeit um 7000 v. Chr. gefunden worden. Man geht jedoch davon aus, daß zwischen 2500 und 500 v. Chr. bantusprachige Hackbauern zugewandert sind, von denen sich die heutigen Bahutu ableiten. Seit dem 13. Jahrhundert sind Batutsi- Rinderhirten aus dem Nilgebiet hinzugekommen.
Vom 13. bis zum 19. Jahrhundert n. Chr. entstehen und zerfallen in dieser Region diverse Königreiche, darunter das später namensgebende "Kongo". 1482 erreicht der Portugiese Diego Cao den Kongo- Strom und "entdeckt" das Land. An seiner Namensgebung "Nzadi" orientiert sich der spätere Name "Zaire".
Wie auch in weiten anderen Teilen Afrikas wird in den folgenden Jahrhunderten ein Großteil der Bevölkerung als Sklaven nach Übersee verschleppt.
Von 1879 bis 1885 erwirbt der Afrikaforscher Sir Henry Stanley das Gebiet im Auftrag des belgischen Königs Leopold II. Nachdem die Kolonialmächte auf der1885 stattfindenden Berliner Konferenz die Grenzen abgesteckt haben, kommt es zur Gründung des Kongo- Freistaates. Dieser befindet sich de facto im Privatbesitz Leopolds II, der zwar selbst nie den Fuß in seinen tropischen Garten setzt, die Bevölkerung aber mißhandeln und zu schwerer Zwangsarbeit pressen läßt.1

Geschichte: Aus Belgisch- Kongo wird Zaire
Nach schwerer Kritik an dem Umgang Leopolds II mit "seinem" Land und "seinen" Menschen und nach dem Tod des Monarchen übernimmt 1908 der belgische Staat das Gebiet und fügt es als "Belgisch- Kongo" in seinen Kolonienbesitz ein.
In beiden Weltkriegen spielt der Kongo eine wesentliche Rolle: Im ersten wollen die Deutschen ihn unbedingt annektieren, im zweiten versorgt er unter die Anti- Hitler- Koalition unter anderem mit Uran für das amerikanische Atombombenprogramm.
Als 1958 schwere Unruhen in der Hauptstadt ausbrechen, befürchtet Belgien den Beginn eines Dekolonisationskrieges und kommt dem zuvor: 1960 entläßt es die Kolonie hastig in die Unabhängigkeit. In demokratischen Wahlen wird Joseph Kasavubu zum Staatspräsidenten und Patrice Lumumba zum Ministerpräsidenten gewählt.
Wenig später erklärt sich die Provinz Katanga für unabhängig, ein Sezessionskrieg beginnt. Lumumba richtet ein Hilfeersuchen an die Sowjetunion. Das diskreditiert ihn in den Augen der westlichen Welt als "Kommunisten". In der Folge wird er von dem Armeestabschef Joseph- Désiré Mobutu mit Unterstützung der USA entmachtet. Bald darauf wird Lumumba ermordet, eine prowestliche Regierung eingesetzt, der Sezessionskrieg siegreich beendet.
1964 kommt es zur "Simba- Rebellion", einem Aufstand radikaler Lumumba- Anhänger. Unter Ihnen befindet sich auch Laurent- Désiré Kabila. Die Rebellion gipfelt in der Ausrufung einer "Volksrepublik Kongo", wird aber mit belgischer und US- amerikanischer Militärhilfe schließlich blutig niedergeschlagen.
Währenddessen wird eine neue Zentralregierung eingesetzt, knapp ein Jahr später aber durch einen CIA- unterstützten Militärputsch, der endgültig General Mobutu an die Macht bringt, wieder beseitigt. Es folgt eine Afrikanisierung von Namen: Aus der Demokratischen Republik Kongo wird Zaire, aus Joseph- Désiré Mobutu wird Mobutu Sese Seko.
Mobutu strukturiert seine Herrschaft äußerst personalistisch, verfolgt jeden Widerstand blutig, chaotisiert das Land teilweise planmäßig und scheint als Hauptziel seine persönliche Bereicherung sowie die seiner Klientel zu verfolgen. Schnell wird seine Herrschaftsform daher als "Kleptokratie" bezeichnet.

Geschichte: Aus Zaire wird die DR Kongo
Auch im Westen steht man Mobutu zunehmend skeptischer gegenüber. Hat man 1977 noch Militäraktionen unternommen, um ihm bei Kriegen in Katanga beizustehen, verliert der einst so wichtige Verbündete mit dem Ende des Kalten Krieges zunehmend an Bedeutung und Ansehen. Lediglich Frankreich, gegenüber dem er sich als Hüter des frankophonen Afrika und Bewahrer französischer Kultur jenseits des Äquators zu profilieren versucht, hält ihm noch die Treue.
Unter dem Druck schwindender internationaler Anerkennung verkündet Mobutu 1990 den Übergang zur "Dritten Republik" und verankert das Mehrparteiensystem in der Verfassung. Gleichzeitig intensiviert er die schon seit Jahren betriebene Diskriminierung der ruandophonen Batutsi- Völker in den Grenzregionen.
In den Folgejahren werden mehrfach Übergangsregierungen gebildet, Sezessionsbestrebungen Katangas beginnen wieder aufzuflackern, es finden Massenvertreibungen des Baluba- Volkes aus Katanga und Pogrome gegen Bahutu und Batutsi in der Provinz Kivu statt. Vor allem im Osten des Landes entstehen mehrere de facto autonome staatsähnliche Gebilde. 1994 wird Zaire von der IWF- Mitgliedschaft suspendiert: Das Land zeigt deutliche Zerfallserscheinungen.
Im gleichen Jahr sorgt jedoch der durch den Völkermord in Ruanda und Burundi verursachte Zustrom von etwa 1,5 Millionen Bahutu- Flüchtlingen dafür, daß Mobutu auf internationalem Parkett wieder gesprächsfähig wird. Zugleich wird der Bahutu- Batutsi- Konflikt importiert - eine Entwicklung, auf die später noch eingegangen werden soll.
1996 erheben sich die ruandophonen Banyamulenge (Batutsi) gegen ihre fortgesetzte Diskriminierung und gegen die geplante Vertreibung. Gleichzeitig wachsen die Spannungen zwischen Ruanda und Zaire, es kommt zu ersten Grenzgefechten.
Im Oktober schließen sich die Banyamulenge mit verschiedenen anderen Kräften, darunter Lumumbisten, Katanga- Gendarmen und weitere Batutsi- Völker, zur "Alliance des Forces Démocratiques pour la Libération du Congo (Zaire)" (Allianz der demokratischen Kräfte zur Befreiung des Kongos, AFDL) zusammen. Ihr Sprecher wird Laurent- Désiré Kabila. Die AFDL wird offen oder verdeckt unterstützt von Ruanda, Uganda, Angola, Südafrika und den USA, während Mobutu sich auf angolanische UNITA- Rebellen, eilig angeworbene Söldner und französische Sympathien stützt. Trotzdem hat seine seit Monaten nicht bezahlte Armee den AFDL- Kämpfern wenig entgegenzusetzen. Knapp ein halbes Jahr nach ihrer Gründung marschiert die AFDL am 17. 5. 1997 in der Hauptstadt Kinshasa ein. Mobutu flieht und stirbt im Exil, Kabila wird zum neuen Präsidenten ausgerufen und der Staat in "Demokratische Republik Kongo" zurückbenannt.
Wenig später ergeht ein Verbot politischer Betätigung außerhalb der AFDL. Kritik an der diktatorischen Machtfülle Kabilas und Gerüchte über Massaker der AFDL an Bahutu- Flüchtlingen kommen auf. Innerhalb der AFDL wird die Macht bedeutender Batutsi- Vertreter stark beschnitten. In der Folge erheben sich im August 1998 in den östlichen Landesteilen Batutsi- Rebellen, die von Ruanda, Uganda und Burundi unterstützt werden. Nach verschiedenen Militärhilfeersuchen kämpfen auf Kabilas Seite Soldaten aus Angola, Simbabwe und dem Tschad, Libyen leistet logistische und militärtechnische Hilfe. Bei Abschluß dieser Hausarbeit kontrollieren die RCD- Kämpfer rund ein Drittel des Staatsgebietes, nicht aber die Bergbau- und Industriezentren.

Bevölkerungsstruktur
Die Bevölkerungsstruktur des Kongo ist nichts weniger als homogen: Die Angaben über die Anzahl der auf dem Staatsgebiet lebenden Ethnien schwanken zwischen 260 und 3652. Etwa 80 % davon sind Bantuvölker, der Rest Sudan- und nilotische Völker. Auch eine Pygmäenminderheit existiert. Als wichtigste Großgruppen führt das "Internationale Handbuch- Länder Aktuell" folgende auf (in Klammern die Verbreitungsgebiete): "Baluba (Kasai, Katanga, Kinshasa; 18%), Bakongo (Kinshasa- Atlantik, auch in Kongo und Angola; 16%), Mongo (v. a. am Kongo- Strom und dessen südlichen Nebenflüssen sowie in Kinshasa;14%) sowie Hutu und Tutsi (in Nord- und Süd- Kivu, Hauptethnien in Ruanda und Burundi; 11%)"3 Die Bevölkerung ist keineswegs gleichmäßig verteilt: In Kinshasa leben ca. 5 Millionen Menschen, auch das Gebiet der Großen Seen ist recht dicht bevölkert, dafür sind im Zentrum weite Landstriche fast menschenleer.
Die Mischung könnte Konfliktpotential bergen: Zwar hatten mit der Unabhängigkeit ALLE Einwohner die zairische Staatsbürgerschaft erhalten, doch schildert Hildegard Schürings: "Im Jahre 1981 wurde ein Gesetz erlassen, daß gewissen Bevölkerungsgruppen die Staatsangehörigkeit aberkannte. Einheimische wurden zu Fremden erklärt - und somit die Auseinandersetzungen um die begrenzten wirtschaftlichen Ressourcen geschürt. 1993 versagte man Vertretern der rwandophonen Bevölkerung den Zutritt zur Nationalkonferenz mit der Begründung, sie seien keine Zairer."4 Die Separationsversuche hatten Folgen: Die solcherart Ausgegrenzten schlossen sich enger zusammen und begannen nun tatsächlich, ein eigenes, nicht- zairisches Identitätsgefühl zu entwickeln. Deutlich wird das unter anderem daran, daß sie um diese Zeit begannen, sich "Banyamulenge" (i.e. "Die, die auf dem Höhenzug Mulenge leben") zu nennen.
Auch ansonsten gab es mitunter Verständigungsprobleme, Rivalitäten und andere Konflikte zwischen verschiedenen Ethnien, die teilweise auch gewaltsam ausgetragen wurden. Zwischen Bahutu und Batutsi scheinen solche Konflikte im Kongo nicht signifikant häufiger vorgekommen zu sein, als zwischen anderen Völkern. Im Gegenteil: Trotz unterschiedlicher Herkunft (Bahutu: Bantuvolk, Batutsi: Niloten) und traditioneller Beschäftigungen (Bahutu: Bauern, Batutsi: Rinderhirten) haben die Völker - wohl infolge des engen Zusammenlebens über lange Zeit - mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Schürings schreibt dazu: "Es kann nicht oft genug wiederholt werden, Bahutu, Batutsi und Batwa haben die gleiche Kultur, die gleiche Sprache, die gleiche Religion und eine Jahrhunderte alte gemeinsame Vergangenheit. Es gibt viele Familien, die sich aus diesen Gruppen zusammensetzen."5 Allgemein wird der Anteil binationaler beziehungsweise biethnischer Familien gern als Maßstab für Integration benutzt. Wenn Schürings also ausdrücklich viele Familien erwähnt, spricht dies durchaus für ein größtenteils friedliches Zusammenleben dieser beiden Völker.

III Einfluß- und Interessensphären im Kongo

Kolonialstaaten
Naturgemäß haben Kolonialstaaten ein Interesse daran, wie die Bedingungen in ihren (ehemaligen) Kolonien sind. Dies betrifft nicht in erster Linie humanitäre Aspekte: Ein "begleiteter Weg in die Unabhängigkeit" bedeutet nicht etwa, daß den Bürgern einer ehemaligen Kolonie behutsam westliche Begriffe von Staatenlenkung, Menschenwürde und Demokratie vermittelt würden, vielmehr geht es um die Wahrung wirtschaftlicher, strategischer und logistischer Vorteile. Neben dem Wohlergehen eigener Staatsbürger, die (noch) in der ehemaligen Kolonie leben, sind symbolische Werte - wie etwa die Wahrung der eigenen Sprache und Kultur in diversen Teilen der Welt - weitere Bande, die die ehemaligen Kolonisatoren mit ihren ehemaligen Kolonien verbinden.
In diesem Sinne hat zunächst das den Kongo ursprünglich kolonisiert habende Land, Belgien, relativ weitreichende Interessen im Kongo:

· Zunächst ist es Haupthandelspartner des Kongo: 1995 gingen 36% der aus dem Kongo exportierten Waren nach Belgien, aus Belgien kamen 15% der kongolesischen Importe. Damit steht Belgien mit deutlichem Abstand an der Spitze der Handelspartner.6
· Auch im einzelnen ist der Kongo für belgische Firmen ein gutes Geschäft: Die Bergbaugesellschaft Union Minière war vor 1967 im Kongo führend und beteiligt sich seit 1995 wieder an Gemeinschaftsprojekten mit dem staatlich- kongolesischen Bergbaukonzern GECAMINES. Mit seinen "unermeßlichen Vorkommen von Kupfer, Kobalt, Schmuck- und Industriediamanten, Gold, Silber, Erdöl, Kohle, Zink, Zinn, Kadmium, Mangan, Wolfram, Germanium, Uran etc."7 bietet der Kongo Bergbaugesellschaften nicht zu unterschätzende Profite.
· Ebenso wie der Rohstoffluß wird auch der Geldfluß maßgeblich von Belgien mitbestimmt: "Die Geschäftsbanken befinden sich meist unter ausländischer Kontrolle. Herkunftsländer sind v. a. Belgien, Frankreich, die USA und Südafrika. Zu nennen sind u. a. die Banque Commerciale Congolaise, die Fransabank, die Citibank und die Stanbic Bank."8
· Weiterhin existiert im Kongo eine zahlenmäßig recht starke belgische Minderheit.
Belgische Mitbestimmungsansprüche lassen sich auch daran ablesen, daß es -neben US- amerikanischen- hauptsächlich belgische Fallschirmjäger waren, die 1965 den Simba- Aufstand niedergeschlagen haben.

Doch nicht nur Belgien hat aus der Kolonialzeit Ansprüche und Interessen bewahrt: Auch französische Banken sind im Kongo aktiv, in der Liste der wichtigsten Handelspartner steht Frankreich bei Ein- und Ausfuhr immerhin noch auf Platz sieben. Für Frankreich ist wohl auch die strategische Bedeutung eines in Afrika derart zentral gelegenen Landes nicht zu unterschätzen. Und schließlich kommt hier der kulturelle Faktor hinzu: Der Kongo stellt sozusagen den Brückenkopf des frankophonen Afrika dar. Und das gleich in zwei Richtungen: Nach Osten und nach Süden. Entsprechend skeptisch werden in Frankreich somit auch Bestrebungen in der AFDL aufgenommen, neben Französisch auch noch Englisch als Amtssprache zu etablieren.9

Anrainerstaaten
Unter diesen Begriff fallen im engeren Sinne Uganda, Ruanda, Burundi, Tansania, Sambia, Angola, Kongo- Brazzaville, die Zentralafrikanische Republik und der Sudan. Es liegt auf der Hand, daß nicht das komplexe Beziehungsgeflecht zu jedem einzelnen dieser Staaten genau beleuchtet werden kann, sondern vielmehr lediglich ein grober Überblick über die Hauptinteressen gegeben wird.

In Ruanda und Burundi fand 1994 ein regelrechter Völkermord der Bahutu- Mehrheit an der Batutsi- Minderheit statt. Mit Unterstützung Ugandas und der weitgehend Batutsi- dominierten Armee konnte diese sich jedoch behaupten und die Regierungsgewalt übernehmen. Folge waren zwei immense Flüchtlingswellen: Erst Batutsi auf der Flucht vor den Mördern, dann Bahutu auf der Flucht vor der Rache der siegreichen Partei. Unter der Herrschaft Mobutus in Zaire wurden die Bahutu- Milizen zumindest logistisch, zuweilen sogar direkt militärisch unterstützt: In den Flüchtlingslagern konnten sie sich reorganisieren und -entgegen dem UNO- Beschluß eines Waffenembargos- mit Waffen versorgen. Zaire diente als Rückzugsgebiet und Basis für kleinere Angriffe auf insbesondere ruandisches Gebiet. Dies schuf natürlich Aversionen, die auch durch die von Mobutu fortgesetzt betriebene Diskriminierung der ruandophonen Bevölkerung nicht geringer wurden. Für den September 1996 weiß die Chronik des "Internationalen Afrikaforums" erstmals von "Meldungen [...], wonach die Streitkräfte Zaires und Ruandas direkt aufeinandergestoßen waren"10.
Mit der Begründung, allein in der Diskonkordanz zwischen staatlichen und ethnischen Grenzen, verursacht durch die völlig willkürliche Zerstückelung Afrikas durch die Kolonialmächte auf der Berliner Konferenz von 1884/85, seien die Ursachen der Konflikte zu sehen, hat der ruandische Präsident, Pasteur Bizimungu, 1996 eine "Berlin II - Konferenz" gefordert, um dem Mißstand abzuhelfen. Da in Uganda, Ruanda und Burundi die Batutsi die Regierung dominieren und in Ostzaire die größte Bevölkerungsgruppe stellen, sind Befürchtungen, hinter "Berlin II" stecke der Plan zur Erschaffung eines Großreiches, aufgekommen.
Tansania hingegen ist in dem Konflikt kaum in Erscheinung getreten, hier beschränkt man sich in aller Regel auf Versuche der Kanalisierung und Repatriierung der durch Völkermord in Ruanda und Burundi und Bürgerkrieg in Zaire evozierten Flüchtlingsströme.
Auch Sambia ist in diesem Konflikt bisher kaum in Erscheinung getreten und zeigt auch keine Neigung, das in naher Zukunft zu tun.
Anders sieht das mit Angola aus. In diesem Land tobt seit Jahrzehnten ein Bürgerkrieg zwischen der ehemals sowjetisch und kubanisch unterstützten Regierungspartei MPLA und der prowestlichen Unabhängigkeitsorganisation UNITA. Ein 1994 eingeleiteter "Friedensprozeß zwischen Regierung und UNITA gilt als weitgehend gescheitert"11. Die UNITA konnte unter Mobutu ebenso auf Waffen aus Zaire rechnen wie auf logistische Unterstützung. Auch gingen nach Behauptungen der MPLA mehrere UNITA- Angriffe von zairischem Territorium aus. Im Gegenzug nahm die MPLA mit ihrer Unterstützung der AFDL auf ihrem Vormarsch gegen Mobutu ihrem eigentlichen Gegner, der UNITA, den Rückzugsraum.
Mit dem Sudan verhält es sich ähnlich: Seit 1989 kämpft die Regierung gegen die Rebellenorganisation SPLA. Diese benutzt Uganda und den Kongo als Rückzugsräume, weshalb es sich für die sudanesische Regierung auszahlt, sich mit Kabila gut zu stellen.
Kongo- Brazzaville und die Zentralafrikanische Republik wiederum halten sich bisher weitgehend aus den Konflikten in der DR Kongo heraus.


Tribalismen
Wesentliches zu diesem Punkt wurde schon unter "Bevölkerungsstruktur" genannt. Zur Erinnerung seien die wichtigsten Punkte nochmals hervorgehoben:
· An die 300 verschiedene Ethnien in der DR Kongo, daher natürlich ein gewisses Konfliktpotential um Land, Vieh, Weiderechte etc.
· In Ballungsräumen hohe Bevölkerungskonzentrationen
· Dennoch keine genuine Feindschaft zwischen Bahutu und Batutsi, vielmehr eine gemeinsame Kultur und rege interethnische Kontakte
· Unter Mobutu fortgesetzte Diskriminierung der ruandophonen Batutsi- Bevölkerung im Osten, daher engerer Zusammenschluß, Konstituierung als "Banyamulenge" und Rebellion
In Anbetracht dieser Tatsachen, ferner in Anbetracht der Tatsache, daß "die" Bahutu" bzw. "die" Batutsi als Idealtypen nicht existieren, sondern vielmehr Oberbegriffe für weit verstreute verschiedene Ethnien sind, erscheint es nicht sinnvoll, sich zu Sätzen wie "Die Batutsi wollen ihr Großreich" oder "Die Bahutu wollen das Batutsi- Volk ausrotten" hinreißen zu lassen. Bahutu und Batutsi als die vordergründigen Hauptakteure dieser Konflikte erscheinen viel zu heterogen, um ihnen als Gesamtheit Interessensphären zuzuschreiben. Ugandas Präsident Yoweri Museveni stellte 1996 klar: "Wäre die Homogenität der Menschen Garant für Frieden, dann hätten wir in Somalia keine Probleme. Dort gibt es nämlich nur einen Stamm mit einer Sprache und einer Religion. Aber in Somalia sind es die Familienclans, die sich bekämpfen. Ich leugne den Tribalismus nicht. Aber er ist in diesen Auseinandersetzungen nicht das Hauptproblem. Der wahre Grund für den Krieg sind Armut, die mageren Ressourcen, vor allem aber die unterentwickelte Struktur der afrikanischen Gesellschaft."12 In der Analyse der Kriege seit 1996 wird nochmals genauer darauf eingegangen werden, warum Tribalismus allenfalls ein Auslöser, nicht jedoch die Ursache sein konnte.

Sonstige
Auf der Liste der sonstigen Staaten, deren Interessen in den Kriegen in der DR Kongo entschieden werden, stehen die USA ganz oben. Haben sie in den sechziger Jahren aus strategischen Überlegungen Mobutu an die Spitze der jungen Republik geputscht und seither mit Geld und Waffen verteidigt, kamen später andere Überlegungen zum Tragen: Nach dem Ende des Kalten Krieges verlor der Kongo zusehends an geostrategischer Bedeutung. Auch Mobutu, dem man als Verbündetem manches nachgesehen hatte, geriet auf internationalem Parkett immer mehr in die Isolation. Schließlich stand er -trotz der Tatsache, daß er seine Macht wesentlich den USA zu verdanken hatte- weit deutlicher unter dem Einfluß Frankreichs - das ihn auch als einzige westliche Macht zuletzt noch stützen wollte. Die USA unterstützten also Kabila und seine AFDL - und gewannen: US- Banken gehören heute zu den führenden Geldhäusern im Kongo, Frankreichs Vorherrschaft in Afrika ist zumindest eingedämmt, Kabila hat mittlerweile Bekenntnisse zu Liberalismus und Marktwirtschaft abgelegt, auf der Liste der Haupthandelspartner stehen die USA als Abnehmer an zweiter und als Lieferanten immerhin noch an vierter Stelle und damit in beiden Fällen noch vor Frankreich. Und auch auf anderen Ebenen hat sich das US- Engagement gelohnt: "Bei Überwindung des Systems der Korruption bergen die Bodenschätze ein gewaltiges Entwicklungspotential. Förderung und Export hängen auf absehbare Zeit stark von Konzernen und Experten aus Industriestaaten ab. Bergbau- und Vermarktungskonzessionen vergab die AFDL bevorzugt an Unternehmen aus den USA und Kanada. Besonderes Aufsehen erregte das im April 1997 vereinbarte 1-Mrd.- US$- Engagement des US- Unternehmens American Mineral Fields International aus Hope, dem Heimatort von Bill Clinton im Bundesstaat Arkansas.Dabei geht es um den Abbau von Kupfer, Kobalt und Zink [...] Das Vermarktungsmonopol der Central Selling Organisation des südafrikanischen De- Beer- Konzerns für die v. a. in Kasai geförderten Diamanten wurde zugunsten eines Auktionssystems aufgehoben. Große Erwartungen werden von internationalen Investoren (u. a. Chevron aus den USA) an die Prospektion von Erdöl im Gebiet der großen Seen geknüpft."13
Weiterhin treten momentan Libyen, Simbabwe und der Tschad als mitkämpfende Parteien in Erscheinung. Ist die Erklärung im Fall Libyen noch recht einfach -der geächtete Revolutionsführer Gaddafi ist ohnehin ständig auf der Suche nach Verbündeten- gestaltet sie sich beim Tschad und bei Simbabwe etwas schwieriger. Beide Länder haben jedoch innenpolitisch schwere Probleme und vereinzelt ist schon spekuliert worden, man wolle die Armee beschäftigen und einstweilen außer Landes haben.

IV Konfliktverläufe seit 1996- Ursachen, beteiligte Parteien und ihre Intentionen
Der Import des Ruanda- Burundi- Problems

Die über Jahre hinweg schon angespannte Lage in Zaire kam zur Eskalation, als mit hunderttausenden ruandischer und burundischer Flüchtlinge auch die scheinbar ethnonationalen Konflikte aus diesen Ländern importiert wurden. Dabei stellt sich die Situation folgendermaßen dar: In Burundi versucht ein elitärer Kreis von Batutsi, sich mehr und mehr Macht zu sichern. Das führt zu Konflikten zwischen Bahutu und Batutsi, in deren Verlauf einige tausend Batutsi ums Leben kommen. In der Folge greift 1972 die Batutsi- dominierte Armee ein und ermordet über hunderttausend Menschen. Die folgenden zwei Jahrzehnte sind geprägt von Bürgerkrieg, Massakern und schleichendem Völkermord. 1996 verschärft sich die Lage mit einem Putsch des Batutsi- sympathisierenden ehemaligen Präsidenten Pierre Buyoya.
Im Nachbarstaat Ruanda beginnt eine Gruppe Exilruander, die FPR, 1990 einen Bürgerkrieg. Seit Jahren aufgebaute Spannungen entladen sich 1994 in den Völkermord an den Batutsi und im Gegenzug in Massakern an der Bahutu- Bevölkerung. Im Juli 1994 übernimmt die Batutsi- getragene FPR unter Paul Kagame in Ruanda die Macht.
Die aufgeladene Stimmung in ihren Heimatländern, die Furcht vor Völkermord und Rache, die Unberechenbarkeit der Situation veranlaßte hunderttausende Bahutu und Batutsi zur Flucht in Nachbarländer- vor allem nach Zaire, Tansania und Uganda . Während die meisten Batutsi nach 1994 bzw. 1996 wieder in ihre Heimat zurückkehrten, sind viele Bahutu aus Furcht vor Rache noch nicht dazu bereit. Auch ein anderer Aspekt ist zu beachten: Die paramilitärischen Stammesverbände, die Bahutu- Milizen, hatten in den Flüchtlingslagern genügend Zeit und Gelegenheit, sich zu reorganisieren. Besonders von Mobutu vor allem mit Waffen unterstützt, waren sie schnell wieder schlagkräftig und begannen, die Flüchtlingslager straff nach ihrem Muster durchzuorganisieren. Tausende rückkehrwilliger Bahutu wurden und werden wohl in den Lagern von ihnen als Geiseln gehalten.
In Zaire kamen die Probleme zwar nicht erst mit den Flüchtlingen aus Ruanda und Burundi ins Land, wurden durch sie aber bedeutend verstärkt. Mobutu, der seine eigene batutsistämmige Bevölkerung diskriminierte und ihr die zairische Staatsangehörigkeit aberkennen wollte, gab mit vollen Händen zairische Ausweise an Bahutu- Flüchtlinge aus, um sich geneigte Wähler zu verschaffen. Die reorganisierten Bahutu- Milizen stießen immer häufiger mit den ohnehin schon überreizten Banyamulenge zusammen. Das Flüchtlingsproblem belastete die betroffenen Landstriche stark. Im Gefolge der "normalen" Flüchtlinge kamen die Milizen, kam ruandisches und zairisches Militär und requirierte Lebensmittel, Vieh usw.
Weiterhin wurde Zaire - wie schon erwähnt - von Bahutu- Milizen als Rückzugsgebiet benutzt.
All diese Faktoren trugen dazu bei, daß auch hier schließlich offene, gewalttätige Konflikte aufflammten.

Der Krieg der ADFL gegen Mobutu
Dieser Konflikt reicht verhältnismäßig weit in die Zeit zurück: Schon seit Ende der sechziger Jahre hatte Kabila mit seiner Partei PRP aus der schwer zugänglichen Mitumba- Bergregion am Tanganjikasee einen Kleinst- Guerillakrieg geführt und parastaatliche Strukturen aufgebaut. Auch die Banyamulenge wurden schon seit längerem diskriminiert.
Legt man den vierstufigen Eskalationsprozeß Jens Siegelbergs14 zugrunde, der vom Widerspruch (bei dem es nur potentiell konfliktive Bereiche in einer Gesellschaft gibt) über die Krise (Umschlag von Objektivität in Subjektivität, Wahrnehmung der Widersprüche) und den Konflikt (soziale Akteure erlangen Konfliktfähigkeit und verhalten sich konfliktiv) zum Krieg (Umschlag zum gewaltförmigen kollektiven, organisierten Konfliktaustrag) führt, so kann man sagen, daß zumindest Teile der beteiligten Parteien schon seit Jahrzehnten zwischen Krise und Konflikt gestanden haben - wenn nicht gar schon beim Konflikt angekommen waren. Durch den Zusammenschluß von Banyamulenge und PRP mit weiteren Parteien zur AFDL wurde ein deutlich höherer Grad an Konfliktfähigkeit erreicht, der somit auch zu konfliktiverem Verhalten führte.
Der Verlauf des eigentlichen Krieges ist bei aller Ungewöhnlichkeit schnell skizziert: Im völligen Gegensatz zu der üblichen Praxis, Angriffspläne möglichst geheimzuhalten, verkündete die AFDL den bevorstehenden Angriff auf eine Stadt Tage vorher im Radio. Das hatte in der Regel zur Folge, daß die demoralisierte und seit Monaten nicht bezahlte Mobutu- Armee die Stadt plünderte und sich weitgehend kampflos zurückzog. Auf erbitterteren Widerstand stieß die AFDL allerdings in Gebieten, die von ruandischen Bahutu- Milizen oder angolanischen UNITA- Einheiten gehalten werden sollten- hier stand für die Verteidiger einfach mehr auf dem Spiel. Bezeichnend ist, daß die AFDL ein riesiges Land wie Zaire innerhalb nur eines halben Jahres von Osten (Tanganjikasee) nach Westen (Kinshasa) durchqueren und einnehmen konnte.

Der Krieg der RCD gegen Kabila
Hauptmerkmal dieses Krieges ist einerseits die Geschwindigkeit, mit der aus Verbündeten Todfeinde geworden sind, andererseits die Sogwirkung, die er entwickelt: Ein Großteil Zentralafrikas ist mittlerweile involviert.
Auf die Staaten, die die direkten Konfliktparteien unterstützen sowie auf ihre Intentionen dabei wurde schon mehrfach eingegangen, dies soll daher nicht nochmals wiederholt werden. Vielmehr soll es an dieser Stelle um eine Darstellung und Bewertung des Konfliktverlaufes gehen.
Der Anlaß scheint offensichtlich: Machterhaltung von Batutsi- Politikern und Interessenwahrung Ruandas. Die Chronik der Zeitschrift "Internationales Afrikaforum" schildert: "Eine der wichtigsten personalpolitischen Veränderungen war die Berufung von AFDL- Generalsekretär Deogratis Bugera, eines Tutsi, zum Staatsminister, was für diesen faktisch eine Entmachtung bedeutete. Er wurde im Juli als Generalsekretär der AFDL abgelöst. Mit der Verurteilung eines weiteren Ex- Verbündeten im Juni und der Ablösung des (ruandischen) Armeeoberbefehlshabers durch einen Offizier aus seiner Heimat konzentrierte Kabila weiter die Macht bei sich und stützte sich dabei vorwiegend auf Angehörige seiner Heimatregion. Die Ausweisung der ruandischen Soldaten Ende Juli war dann der Auslöser für den Ausbruch der Rebellion."15 Man sieht also, daß einerseits Kabila nach erfolgtem Sieg ebensowenig auf alte Verbündete gibt, wie auf seine in den Medien oft beschworene Freundschaft zu dem ugandischen Präsidenten Museveni, andererseits Uganda und insbesondere Ruanda der AFDL in ihrem Kampf keineswegs uneigennützig beigestanden haben, sondern vielmehr genaue Pläne hatten und willens sind, jeden zu bekämpfen, der diese stört. Noch vor Ausbruch dieses zweiten Krieges hat der kongloesische Professor Nkombe Oleko folgende Einschätzung von Kabila gegeben: "Trotz der Einflüsse Chinas, Rußlands, Großbritanniens und der USA ist Kabila zutiefst Afrikaner geblieben. Seine Auffassung von Macht ist afrikanisch, das bedeutet, daß alle Macht in die Hände des Chefs gehört. Er kann sich auch nicht vom afrikanischen Verständnis der Solidarität zu seinen Vertrauten und Angehörigen lösen und vertraut ihnen wichtige Regierungsämter an. Er bekundet die für afrikanische Chefs typische Intoleranz [...]"16 Der momentane Bürgerkrieg im Kongo ist also als Machtkampf zwischen Kabila einerseits und einer Uganda- Ruanda- Batutsi- Clique andererseits zu begreifen. Es geht um die Macht im Kongo, um die Hegemonie in Zentralafrika und möglicherweise um territoriale Expansion Ruandas.

Kriegsursachen und Hintergründe
"Stammesfehde" und "Erbfeindschaft": Die Batutsi- Bahutu- Kriege
Um es direkt vorwegzunehmen: Der Ausdruck "Stammesfehde" erscheint für das Geschehen im gesamten Ostafrikanischen Zwischenseegebiet äußerst unzutreffend. Dies hat seinen Grund zum einen darin, daß in westlichen Köpfen mit diesem Begriff einige hundert halbnackte Krieger verknüpft sind, die einander mit Pfeil und Bogen durch den Dschungel jagen. In diesem Fall geht es aber um zehntausende regulär ausgebildete, konventionell bewaffnete Soldaten, um weitere zehntausende in paramilitärischen Verbänden und um eine siebenstellige Zahl an Kriegsopfern und Flüchtlingen. Was hier stattfindet ist nichts mehr und nichts weniger als Krieg. Der andere Grund liegt darin, daß man es sich zu einfach machen würde, würde man die Eskalation schlicht mit einer seit Jahrhunderten aufgestauten Feindschaft erklären wollen: Schon verschiedentlich wurde auf die identische Kultur und Vergangenheit sowie auf die hohe gegenseitige Durchdringung von Bahutu und Batutsi eingegangen. Die Situation erscheint eher so, daß einflußreiche Kreise zur Durchsetzung ihrer Interessen den ethnischen Konflikt künstlich geschaffen und funktionalisiert haben: Aus Ruanda wird berichtet, daß nach einem Pogrom an der Batutsi- Minderheit die Opfer "zufällig" durchweg Vertreter der politischen Opposition waren. Schürings beschreibt hierzu: "Von den Radikalen wie auch in den Medien werden rassistische Stereotype, die aus Theorien des letzten Jahrhunderts stammen, verbreitet, und die Geschichte wird so geschrieben, wie sie gerade ins politische Kalkül paßt.[...] Konflikte zwischen den Gruppen beruhen auf ökonomischen Zwängen und besonders auf der Gier nach Macht und Reichtum kleiner Minderheiten, die Öl ins Feuer gießen."17 Auch der Entwicklungsforscher Prof. Dr. Bernd Wiese betont: "Die meisten Analysen sind sich heute darin einig, daß es sich nicht - wie in den Medien oft betont- um einen Stammeskrieg handelte. Vielmehr geht man davon aus, daß es sich um die systematische, vorbereitete Ermordung aller gemäßigten und auf Verständigung drängenden Kräfte in Ruanda handelte, um die Nutzung eines Haßpotentials, das durch die Medien seit längerem geschürt worden war."18 Und schließlich zieht der SPIEGEL Bilanz: "Was in aller Welt eine "Erbfeindschaft" zwischen Hutu und Tutsi genannt wird, hat reale wirtschaftliche und politische Hintergründe: Verteilungskämpfe um knapper werdendes Land aufgrund von Bevölkerungswachstum und Bodenerosion bringen in Afrika Menschen gegeneinander auf, die über Epochen einigermaßen friedlich miteinander gelebt hatten. Denn in dem Maße, "wie der Bevölkerungsdruck wächst und lokale Ressourcen knapper werden, besinnen sich Menschen zu ihrem Schutz auf ethnische und religiöse Gemeinschaften"(so das Washingtoner Worldwatch Institute)"19
Es kann also gesagt werden, daß das, was nach außen so sehr nach "Stammeskrieg" aussieht, tatsächlich eine Funktionalisierung von Ethno- Nationalismen ist, die jedenfalls dazu dienen soll, eine elitäre Clique an der Macht zu halten, möglicherweise sogar zum Machtausbau durch Expansion unter dem Mantel eines Batutsi- Reiches, dessen Grenzen neu festzulegen sind.

Kabila: Der sozialistische Revolutionär?
Kabila war Lumumba- Mitstreiter. Kabila hat mit anderen 1964 eine "Volksrepublik Kongo" ausgerufen. Kabila hat in der VR China an einer Militärakademie studiert. Kabila hat eine "Parti de la Révolution Populaire" gegründet. Kabila hat mit dem legendären Che Guevara zusammen gekämpft. Kabila wird von der angolanischen MPLA unterstützt. Ist Kabila Kommunist, war der Bürgerkrieg gar eine sozialistische Revolution?
Nein.
Kabila mag eine Zeitlang für antiimperialistische und sozialistische Ziele gekämpft haben, mittlerweile ist er allerdings beim Neoliberalismus angekommen. Jörn Schulz schildert: "Da niemand mehr die Ausplünderung durch Mobutus Soldateska fürchten muß, ist das wirtschaftliche Leben wieder in Gang gekommen. Von den gemeinschaftlichen Wirtschaftsformen, die Kabilas Guerilla noch in den 80er Jahren praktizierte, ist dabei keine Rede mehr. Mittlerweile vertritt Kabila [...] eine prokapitalistische Orientierung der wirtschaftlichen Öffnung."20 Etwas anderes zu vertreten würde Kabila auch schlecht anstehen, haben die USA seinen Vormarsch doch beträchtlich gefördert und unterstützt - und wollen nun auch wirtschaftlich davon profitieren. Dabei werden klare Worte gesprochen. Schulz: "Gegenüber Newsweek erklärte der US- Diplomat Richardson, er habe Kabila von den Segnungen des freien Marktes überzeugen können: "Obwohl er immer noch von großangelegten öffentlichen Arbeiten sprach, glaube ich, daß er pragmatisch ist und die Notwendigkeiten einer modernen, offenen Wirtschaft erkennen wird." Es geht, wie dieses Zitat andeutet, weniger um die Frage des Wirtschaftssystems [...] als um die Frage der wirtschaftlichen Unabhängigkeit und der Exportorientierung, um die Rolle des öffentlichen Sektors und die Öffnung für ausländische Waren und ausländisches Kapital. Hier spricht die bisherige Praxis dafür, daß die AFDL eher den Geboten des Neoliberalismus folgen wird als denen Lumumbas."21 Auch Kabilas schon angesprochenes "afrikanisches Machtverständnis" will sich nicht so recht in Einklang mit kommunistischen Ideen bringen lassen.

Wer unterstützt wen warum?
Der Versuch, diese Frage zu beantworten, ist im Ansatz schon bei der Aufzählung der verschiedenen Interessensphären unternommen worden. Daher wird das schon gesagte hier nur nochmals in Stichpunkten zusammengefaßt und gegebenenfalls ergänzt.
Mobutu bezog anfangs seine Unterstützung von der westlichen Welt im allgemeinen und den USA im besonderen, weil man sich von ihm eine Vorpostenfunktion gegen das Gespenst Kommunismus versprach. Ganz im Sinne der US- amerikanischen Roll- Back- Politik wurde er zunächst an die Macht gebracht und dann militärisch und wirtschaftlich nach Kräften unterstützt. Belgien und insbesondere Frankreich unterstützten seine Herrschaft auch mit Blick auf die kulturelle Seite.
Nach dem Ende des Kalten Krieges verlor Mobutu an Bedeutung. Mit der kommunistischen Bedrohung war seine eigentliche Funktion, aufgrund der er sich einige Freiheiten erlauben konnte, abhanden gekommen. Und unter dem wirtschaftlichen Aspekt versprach Kabila gerade für die USA in Zukunft der weit lohnendere Partner zu sein als der kleptokratische Mobutu. Somit wurde dem einen die Unterstützung entzogen, der andere erhielt sie. Die angolanische UNITA unterstützte Mobutu, weil sie sein Territorium als Rückzugsraum benötigte. Aus demselben Grund kämpften auch die ruandischen und burundischen Bahutu- Milizen für ihn.
Kabila wurde aus den genannten Gründen von den USA unterstützt, von Uganda, Ruanda und Burundi hingegen, weil diese sich der von Zaire aus operierenden Milizen entledigen wollten. Möglicherweise haben im Fall Ruanda auch expansionistische Erwägungen eine Rolle gespielt. Die angolanische MLPA kämpfte wohl eher aus innenpolitischen Gründen (Schließung der UNITA- Rückzugsräume) für Kabila als aus möglicherweise vorhandenem ideologischen Nähegefühl.
Nachdem Kabila nach seinem Sieg die Macht im wesentlichen auf sich konzentriert hatte - was mit Machtbeschneidungen einflußreicher Batutsi- Führer einherging - erhob sich im Osten des Landes eine im wesentlichen aus Batutsi bestehende Guerilla gegen den Ex- Guerillero. Hier wechselten Uganda, Ruanda und Burundi die Seiten und unterstützten die Rebellen gegen ihren ehemaligen Verbündeten. Der Schluß liegt nahe, daß hier tatsächlich expansionistische Planungen (etwa für ein auf einer Berlin- II- Konferenz festzulegendes Batutsi- Großreich) eine Rolle spielten.
In diesem Konflikt wird Kabila weiterhin von Angola unterstützt, ferner vom Tschad und Simbabwe, die Ihre Armee beschäftigen (und finanzieren!) lassen müssen, und vom Sudan, der - wie Angola - oppositionellen Kampfeinheiten die Rückzugsräume verbauen will.

VI Zusammenfassung
Die Ursachen des Krieges im Kongo liegen, zitiert man das "Internationale Handbuch" in der "von Mobutu blockierten Demokratisierung und seiner Herrschaftsform der "Kleptokratie", die das Land in den Ruin und die Bevölkerung in Armut und Not getrieben hatte"22. Musevenis Erklärung ist ähnlich und sei daher nochmals zitiert: "Der wahre Grund für den Krieg sind Armut, die mageren Ressourcen, vor allem aber die unterentwickelte Struktur der afrikanischen Gesellschaft". Hier liegen sozusagen die Grundübel, nach Siegelberg also der Widerspruch, die "potentiell konfliktiven Bereiche in einer Gesellschaft". Die Stufe der Krise wird für die einen erreicht durch fortschreitende Verschärfung dieser Widersprüche durch Mobutu, für die anderen durch Funktionalisierung eines ethno- nationalistischen Konfliktpotentials. Es ist also, auch und gerade im Bahutu- Batutsi- Konflikt, um mit Matthies zu sprechen "nicht die behauptete oder wahrgenommene ethnisch- kulturelle Andersartigkeit als solche [...] der wesentliche Grund für gewaltsames Gruppenhandeln, sondern deren Verbindung mit politischen, ökonomischen und sozialen Faktoren der Benachteiligung, Ausgrenzung und existenziellen Bedrohung."23 Konfliktfähigkeit erhalten die Gruppen durch das Eingreifen weiterer Mächte (Insbesondere der USA, aber auch Ruandas, Ugandas, Angolas usw.), die sich von der Unterstützung einer Konfliktpartei Vorteile versprechen - seien dies nun wirtschaftliche (USA), territoriale (Ruanda), machtpolitische (Uganda) oder strategische (Angola). Die fortgesetzte Verdichtung der Widersprüche führt schließlich zum Krieg. Nach dem Sieg der AFDL werden mit der Entmachtung der Personen, die Ruanda und Uganda als Garant für ihre Interessen gesehen haben, in kürzester Zeit die Punkte Widerspruch (der latent vorhanden war), Krise und Konflikt abgehandelt, die strategischen Konstellationen umgruppiert und erneut ein Krieg geführt.
Man kann also sagen, die Kriegsursachen lagen in den strukturellen Problemen Zaires, deren wesentlichste Armut, Hunger, Bodenerosion, Kleptokratie und Korruption waren. Diese Probleme wurden verdichtet durch den Zustrom der ruandischen und burundischen Flüchtlinge und die geplante Vertreibung der Banyamulenge. Somit sind diese Punkte als Kriegsauslöser zu betrachten. Begünstigende Faktoren waren die Interessen verschiedener Staaten, die sie veranlaßten, die eine oder andere Kriegspartei zu unterstützen.