Ich
habe mich gefragt: Was ist Krieg? Wann beginnt er?
Nehmen
wir das Beispiel Irak: Der Krieg im engeren Sinne gegen den
Irak hat seit 1991 nie aufgehört. Der Waffenstillstand,
den die Resolution 687 des Weltsicherheitsrates vom April 1991
vorsieht, hat nie vollständig existiert:
Britische
und US-Kampfflugzeuge bombardieren seit 10 Jahren ohne jede völkerrechtliche
Legitimation Bodenziele im Irak; seit August 2002 zielstrebig
Teile der Infrastruktur, Brücken, Flughäfen ...
Wie
Tobias Pflüger vorhin ausgeführt hat, liefen die Vorbereitungen
zum Angriffskrieg seit Anfang 2002 über in Deutschland liegende
Luftbasen wie Ramstein, Spangdahlem, Rhein-Main-Air-Base.
Hier
hätte die Regierung nicht nur mit Worten, die ihr erst vier
Wochen vor den Bundestagswahlen einfielen, sondern mit Taten eingreifen
müssen: Sofortige Kündigung der Überflugrechte,
Außerkraft-Setzen der entsprechenden Teile des NATO-Trup-penstatuts.
(1)
Nehmen
wir das Beispiel Palästina: Ich zitiere aus einem Appell
von 149 israelischen Wissenschaftlern, der am 28. September 2002
in der Tageszeitung „The Guardian“ erschienen ist:
>>...
Wir, israelische Wissenschaftler, sind entsetzt über den
Truppenaufbau der USA zu einem Angriff gegen den Irak und die
begeisterte Unterstützung durch die israelische politische
Führung.
Wir
sind tief besorgt, dass der „Rauchvorhang des Krieges“
durch die israelische Regierung ausgenutzt werden könnte,
um weitere Verbrechen gegen das palästinensische Volk zu
begehen, bis hin zu einer umfassenden ethnischen Vertreibung.
Die
israelische Regierungskoalition schließt Parteien ein, die
einen „Transfer“ der palästinensischen Bevölkerung
befürworten als Lösung dessen, was sie „das demographische
Problem“ nennen. (...)
In
einem Interview in Ha´aretz bezeichnete kürzlich der
Generalstabschef Moshe Ya´alon die Palästinenser als
ein „Krebsgeschwür“ und sprach von den Militäraktionen
in den besetzten Gebieten als „Chemotherapie“, wobei
er andeutete, dass eine noch radikalere „Behandlung“
erforderlich sein könnte. Premierminister Scharon pflichtete
dieser „Einschätzung der Realität“ bei.
Das Anschwellen rassistischer Demagogie in Bezug auf die palästinensischen
Staatsbürger Israels dürfte den Umfang der Verbrechen
anzeigen, die möglicherweise erwogen werden.<<
Dieser
hier kritisierte „Krieg im weiteren Sinne“ hatte einen
Vorlauf: Durch die Besatzung, die militärischen Aktionen
der israelischen Armee seit 2000 ist ein solcher Vertreibungsdruck
entstanden, dass 250000 palästinensische Leute nach Jordanien
und Ägypten auswanderten, 150000 sich illegal in Israel aufhalten
und Tausende auf der Flucht verhungerten. Grundlage dieser Politik
ist der „Plan Dornenfeld“ des israelischen Generalstabs
von 1996, der im Falle eines (erwarteten Aufstandes) der palästinensischen
Bevölkerung eine vollständige ökonomische Blockade,
die Besetzung der Autonomiegebiete und die Vertreibung nach Jordanien
und Ägypten vorsieht.
Schon
lange praktiziert die israelische Besatzungsmacht stillere Formen
des Kriegs:
80%
des Wassers werden für die Siedler abgezapft, Landnahme findet
in Permanenz willkürlich statt; Resultat ist eine Bantustanisierung
der besetzten Gebiete.
Die
Armut, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit immer größerer
Teile der drangsalierten Bevölkerung führen zu militanten
Revolten, z.T. zu Selbstmordattentaten fürchterlicher Dimension.
Eine
weitere stillere Form des Krieges ist das über den Irak verhängte
Handelsembargo, das seit 1991 zwischen einer und eineinhalb Millionen
Menschen das Leben gekostet hat. Darauf angesprochen antwortete
1998 US-Außenministerin Madleine Albright, das sei eben
in Kauf zu nehmen.
Wann
also beginnt Krieg?
Ist
es nicht Krieg,
wenn
über einen raffiniert aufgebauten Schuldenturm von über
2 Billionen $ die Länder des Südens allein 250 Mrd.
$ Zinsen jährlich an den Norden zahlen müssen;
wenn sie über die sog. Strukturanpassungsprogramme (SAPs)
gezwungen werden, ihre Wirtschaft einseitig auf den Weltmarktexport
zu trimmen, ihre Sozialleistungen zu demontieren und Waffen zur
Niederhaltung daraus folgender Emeuten zu kaufen und z.T. bis
zu 80% ihrer Exporterlöse in den Zinsdienst stecken, was
Hunderten von Millionen Menschen die letzten 30 Jahre das Leben
gekostet hat;
wenn die unheiligen Dreifaltigkeit, der IWF, die Weltbank, die
WTO versuchen, über perfide Regelwerke die Welt in Gänze
den Profitinteressen der MULTIS auszuliefern;
Ø indem sie die in Jahrtausenden dauernder Kulturarbeit
gewachsene biologische Vielfalt des Saatguts patentieren lassen,
und damit die bäuerlichen, lokalen Gemeinschaften enteignen,
ihr Saatgut (meist hybrid) vermarkten, den Bauern Pestizide und
Kunstdünger aufzwingen und auf diese Weise Millionen sich
verschulden lassen und freisetzen;
Ø
indem sie zunehmend öffentliche Güter und Dienstleistungen
wie Wasser, Transportwesen, Gesundheit, Bildung ... privatisieren,
diese Bereiche in Geld heckende Kapitalanlagesphären verwandeln
und damit für viele Menschen – v.a. im Süden -
unbezahlbar machen. Ist der Bereich abgewirtschaftet, wie beim
englischen Eisenbahnwesen ersichtlich, soll die Allgemeinheit
mit vielen Milliarden Steuergeldern den Wiederaufbau dieses Bereichs
finanzieren;
Ø
oder indem sie im Finanz- und Handelssektor den völligen
Abbau von Schutzmaßnahmen schwächerer Volkswirtschaften
wie Zölle, Kapitalverkehrskontrollen als Regelwerk durchsetzen.
Infolgedessen sind diese Länder den spekulativen Angriffen
der Finanzmärkte z.B. auf ihre Währungen ausgeliefert,
ebenso dem abrupten Abzug großer Kapitalmengen, was zum
Zusammenbruch des Wirtschaftskreislaufs führt und wie in
Südostasien 1998 oder in Argentinien zu Arbeitslosenraten
von 30 – 50 Prozent.
Solche Formen des stummen, des alltäglichen, des normalen
Wirtschaftskrieges bezeichnen Leute wie Vivian Forrester oder
Walden Bello zu Recht als TERROR DER ÖKONOMIE,
ein
Terror, der in verschiedenen Formen seit 500 Jahren von den Zentren
des Nordens in die Welt gebracht und als „Freihandel“
oder „Segnungen des Marktes“
u.ä.m.
gefeiert wird.
Auf
dem Boden der skizzierten sozialen Verwüstungen gedeihen
die Verzweiflung,
der
Hass, der die Marktfundamentalisten des Nordens mit dem Blow Back
(Rückstoß) der Fundamentalisten des Südens konfrontiert
– ein asymmetrischer, tödlicher Krieg, der auf beiden
Seiten kein Mitgefühl mit den Opfern kennt. Das jüngste
Beispiel eines solchen Rückstoßes ist die Geiselnahme
in Moskau durch tschetschenische Geiselnehmer, die fordern, dass
Russland seinen Vernichtungskrieg gegen die tschetschenische Bevölkerung
sofort einstellt, dem die internationale Öffentlichkeit seit
10 Jahren zusieht.
Jedoch
formiert sich seit Mitte der 90er-Jahre – angefangen in
Chiapas, über die große Streikbewegung 1995 im öffentlichen
Sektor Frankreichs, die Verhinderung des Multilateralen Investitionsabkommens
(MAI) in Seattle 1999 eine soziale, globalisierungskritische Bewegung,
die sich seit zwei Jahren im Weltsozialforum in Porto Alegre und
erstmals vom 6. – 10. November in Florenz als kontinentales
Sozialforum trifft, um sich über Möglichkeiten, Erfahrungen,
Konzepte einer anderen, nachhaltigen, postkapitalistischen Welt
auszutauschen. Attac ist ein Teil dieses Bewegung.
Ich
lade Euch alle ein, an diesem Prozess teilzunehmen und nach Florenz
zu fahren.
Was
können wir aber in unmittelbar nächster Zeit tun, wie
kann noch Sand ins Getriebe des Angriffskrieges gegen den Irak
gestreut werden?
Zum
einen ist ermutigend, dass heute in zahlreichen Städten der
Welt Demonstrationen, Aktionen gegen den Irak-Krieg stattfinden
und weitere Demos und auch Handfesteres wie Sitzblockaden, Straßentheater
... angesagt sind.
Ganz
entscheidend aber sind die Tätigkeit am Arbeitsplatz; hier
ist vieles denkbar:
der
Lehrer, welcher im Unterricht aufklärt über die Kriegsinteressen,
die innere Militarisierung der Gesellschaften des Nordens, der
die SMV unterstützt bei Anti-War-Streiks;
die JournalistInnen, welche in der Nachrichtensendung Aufrufe
wie „Not in Our Name“ verlesen, in den Redaktionen
eine umfassende Berichterstattung über die geostrategischen,
wirtschaftlichen Interessen des Imperiums durchsetzen;
Aufrufe und Gewähren von Rechtsschutz seitens der Gewerkschaften
wie IGM oder Ver.di für
Ø Rüstungsarbeiter, die die Arbeit an Kriegsgerät,
Munition ... einstellen,
Ø
Beschäftigte, die es sein lassen, an in den Angriffskrieg
verwickelte Militäreinrichtungen und –einheiten Energie,
Wasser, Kommunikationsdienste u.ä.m. zu liefern;
Ø
Eisenbahner, welche den Transport von Militärgütern,
-fahrzeugen verweigern – kein Schiff für den Krieg
verlässt Bremerhafen;
findige
Software-Freaks, deren Programme befriedend auf Kriegs-Software
und Angriffskriegskommunikation wirken ...
Sie alle können sich auf das Grundgesetz und den Zwei-Plus-Vier-Vertrag
berufen.
Jede
deutsche Regierung, die bewusst das deutsche Hoheitsgebiet in
die Führung eines völkerrechtswidrigen Krieges verwickeln
und einbeziehen (lässt), kommt in Konflikt mit dem Art. 26
GG und Art. 2 des Zwei-Plus-Vier-Vertrages. Beide Normen verbieten
ausdrücklich, die Führung eines Angriffskrieges „vorzubereiten“.
Das grundgesetzliche Verbot des Angriffskrieges, das strafrechtlich
bewehrt ist (10 Jahre Freiheitsentzug aufwärts), ist dabei
umstands- und bedingungslos normiert: Die Vorbereitung, Führung
und Unterstützung eines Angriffskrieges ist in jeder Hinsicht
„verfassungswidrig“ und „unter Strafe zu stellen“.